(Artikel der NNP, den 06.10.21 von Rolf Goeckel)
Sechs Sperrbauwerke sollen bis 2035 ersetzt werden – IG Lahn ist dagegen
Nassauer Land Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes will sechs der elf Lahnwehre im rheinland-pfälzischen Teil der Lahn durch Neubauten ersetzen. Gegen das Vorhaben protestiert die Interessengemeinschaft (IG) Lahn und erneuert ihre Forderung nach einer Beseitigung der Lahnwehre.
100 Jahre und älter sind sie, die Wehre im Unterlauf der Lahn, die den Wasserablauf des Mittelgebirgsflusses stauen und regulieren. Voraussichtlich von 2025 an, so Nicolai Goll vom Wasserstraßen-Neubauamt (WNA) Heidelberg auf Anfrage dieser Zeitung, sollen die Wehre Diez, Scheidt, Cramberg, Hollerich, Nassau und Dausenau ersetzt werden. Nicht betroffen sind die Schleusen. Die Neubauten, so der Ingenieur, sollen einige Meter unterhalb ihrer jetzigen Standorte errichtet werden, um im Falle eines Hochwassers für genügend Abfluss sorgen zu können. Ausnahme ist die Schleuse Hollerich, wo sich am Unterlauf der Schleuse ein Naturschutzgebiet befindet.
Die Kosten für das Projekt bezifferte Goll auf rund 60 Millionen Euro – zehn Millionen pro Wehr. Das sieht zumindest die aktuelle Investitionsplanung des Bundes vor. Eine Summe, die allerdings bei weitem nicht ausreichen dürfte, wie Goll einräumt: Die zum Teil enormen Baukostensteigerungen der jüngsten Zeit seien bisher nicht berücksichtigt worden. Noch einmal dieselbe Summe dürfte der Einbau von Fischaufstiegs- und -abstiegsanlagen kosten, sagte Goll. Diese seien aufgrund der Wasserrahmenrichtlinie des Bundes Vorschrift und sollen für die Durchgängigkeit der Lahn für einen große Teil von Fischarten sorgen.
Probebohrungen in Hollerich
Die Erneuerung der sechs Wehre wird sich Schätzungen zufolge zeitlich auf mindestens ein Jahrzehnt erstrecken, so dass voraussichtlich in den Jahren 2035 bis 2037 mit deren Fertigstellung zu rechnen sei. Als erstes werde das Wehr in Hollerich in Angriff genommen, wo aktuell bereits Probebohrungen durchgeführt werden. Der Neubau dort werde rund vier Jahre dauern, sagte Goll.
Die hohen Investitionen in die alten Wehranlagen sind Naturschützern allerdings ein Dorn im Auge, wie der Vorsitzende der IG Lahn, Winfried Klein aus Runkel, im Gespräch mit dieser Zeitung erklärte. Er kritisierte, dass mit hohem Kostenaufwand der Status der Lahn als Bundeswasserstraße aufrechterhalten werde, obwohl dort seit Jahrzehnten nur noch private Besitzer von Booten und Jachten in ihrer Freizeit „herumschipperten“. Nach Kleins Meinung sollten die alten Wehre nicht neu gebaut, sondern gleich abgerissen werden. Denn dies schreibe die Wasserrahmenrichtlinie der EU ohnehin vor. „Ziel muss es sein, dass die Lahn wieder ein intaktes Fließgewässer wird.“
Skeptisch zeigte sich der IG-Lahn-Vorsitzende auch mit Blick auf den geplanten Einbau von Fischaufstiegs- und Abstiegshilfen. Jüngere Untersuchungen hätten ergeben, so Klein, dass diese „weitgehend wirkungslos“ seien. Ein Rückbau der Stauwehre würde nach Einschätzung des Runkeler Naturschützers auch nicht, wie von manchen Gutachtern befürchtet, dazu führen, dass der Grundwasserpegel so weit abgesenkt würde, dass es zu Setzrissen an Gebäuden in Ufernähe kommt.
Auch das Argument, dass der Lahnregion ein Schaden aufgrund eines zu befürchtenden Rückgangs des Tourismus entstehen würde, lässt Klein nicht gelten. Ohnehin seien die von den Tourismusverbänden errechneten Zahlen von mehreren Milliarden Euro Umsatz jährlich nach seiner Ansicht völlig überhöht. So würden beispielsweise auch die Übernachtung sämtlicher Kur- und Reha-Kliniken darin eingerechnet – und die seien nicht gefährdet, nur weil die Lahn in einen natürlichen Ursprung versetzt wird, meint Klein.
„Einschätzung ist grotesk falsch“
Die von Klein behauptete generelle Unwirksamkeit von Fischaufstiegsanlagen wird von Fachleuten allerdings nicht geteilt. „Diese Einschätzung ist grotesk falsch“, erklärt Nicolai Goll mit dem Hinweis auf einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen im Auftrag der zuständigen Fachbehörden. Goll räumte ein, dass die Auf- und Abstiegshilfen nicht dem von Klein angestrebten natürlichen Zustand der Lahn entsprechen werden. So sei damit zu rechnen, dass beispielsweise für kleinere Krebsarten die Lahnwehre auch in Zukunft ein kaum überwindbares Hindernis darstellen werden. Für welche Fischarten die geplanten Anlagen durchlässig gestaltet werden, soll laut Goll den zuständigen Fachbehörden in Rheinland-Pfalz abgestimmt werden.
Verständnis zeigte Goll für die seit Jahren von der IG Lahn geübte Kritik an den Wasserkraftanlagen an der Lahn, in denen es zu einem massenhaften Fischsterben in den Turbinen komme. Hier sieht Goll die Süwag als Betreiberin der Lahn-Wasserkraftwerke in der Pflicht, ihre Anlagen mit Feinrechen auszustatten, damit Fische nicht mehr in den Turbinen zerhäckselt werden. Die Ausrüstung mit Feinrechen sei in der Vergangenheit nicht so geschehen, wie es wünschenswert gewesen wäre, so Goll.
Der Fachmann hält es aber für einen Wunschtraum, dass die Lahn jemals wieder in einen „natürlichen Zustand“ wie vor Jahrtausenden zurückversetzt werden kann. Denn dies würde bedeuten, dass dem Fluss genügend Raum zum freien Mäandern gegeben werden müsste. „Dann aber müsste die Besiedlung an der Lahn an vielen Orten aufgegeben werden“, so Golls Einschätzung. Für realistisch hält er es allerdings, dass die gegenwärtige Situation mit einer verbesserten Durchgängigkeit des Flusses erheblich verbessert werden kann.